Den Tieren eine Stimme geben- der neue Tota vi naturae Blog!

Ich bin ein Schwein. Was denkst du, wenn du mich ansiehst? Denkst du dir überhaupt etwas? Was fühlst du, wenn du mich siehst? Fühlst du etwas? Für dich bin ich NUR ein Schwein, aber für mich bin ich ALLES. Es ist das mein Leben, was du siehst, mein Sein hier auf Mutter Erde und bin genauso wie du hier, um meine Erfahrungen in diesem Leben zu machen. Jetzt lachst du, denn du denkst dir vielleicht, wer es sich freiwillig ausgesucht hat, als Schnitzel auf deinem Teller zu enden. Nun- ich habe es mir nicht prinzipiell so ausgesucht: Ich komme auf diese Welt, um dir als Nahrung zu diesen, dich zu kräftigen und zu stärken, damit du leben kannst. Das habe ich mir ausgesucht und dafür bin auch bereit, dir mein Leben zu schenken. Nur weißt du, was mich traurig macht? Dir ist dieser Kreislauf gar nicht mehr bewusst. Du denkst oftmals gar nicht nach, dass es einmal Leben war, was auf deinem Teller liegt. Dass dies ein Leben war mit Familie, mit Gefühlen und auch mit Schmerzen. So wie du bin ich als kleines Baby auf die Welt gekommen, bin aus meiner Mama herausgeschlüpft und habe neugierig meine Äuglein geöffnet- in großer Erwartung, was mich hier wohl erwarten wird. Unsere Mutterseele- so etwas haben wir Tiere- hat mir schon erklärt, dass viele von uns Tieren auf diese Erde gehen, um die Menschen zu ernähren. Dass dies die göttliche Schöpfung so vorgesehen hat für uns. Und das es in der Ordnung alles Seins ist. „Wow“, dachte ich mir, „was ist das denn für eine ehrenhafte Aufgabe! Ich darf mein Leben schenken, um ein anderes zu ernähren.“ Ich war sehr stolz über diese große Tat und konnte es kaum erwarten, meinem Menschen, dem ich mein Leben nach einer gewissen Zeit- wir hörten, dass auch wir Tiere eine Zeit lang dieses herrliche Leben genießen dürfen- schenken würde, kennen zu lernen.

Dann bin ich also auf diese Welt gekommen und habe erwartungsvoll meine Äuglein geöffnet: Ich war das sechste von 8 Geschwistern und unsere Geburt ist für meine Mama bestimmt etwas Besonderes gewesen. Dann habe ich meine Mama zum ersten Mal gesehen: Sie lag in Gittern, in einer Art Käfig und konnte sich nicht bewegen. Zuerst dachte ich, dass sie vielleicht krank ist und einer der Menschen, der ja gut auf uns Acht geben sollte, sie für ihre Genesung hierhin getan hätte, aber schon bald erkannte ich, dass es die Aufgabe meiner Mama ist, hier zu liegen und uns Kleinen zu säugen. Das hat mich sehr traurig gemacht, denn bis heute weiß ich nicht, wie sie aussieht, wenn sie in ihrer vollen Größe vor mir steht. Und auch die Augen meiner Mama waren sehr traurig und müde, und sie hat mir erzählt, dass sich ihr größter Traum, einmal die strahlende Sonne zu sehen, nicht erfüllen wird. Das habe ich nicht verstanden, denn ich hatte immer geglaubt, dass Gott diese Welt für alle Lebewesen gemeinsam erschaffen hat und dass wir alle miteinander sein können. Aber ich blieb mit offenem Herzchen optimistisch- denn ich- so war ich überzeugt- werde bestimmt einmal diese schöne Sonne und vielleicht sogar auch einen Regenbogen sehen.

So habe ich tagein und tagaus in der Düsternis dieses Hauses, in dem ich geboren wurde, gewartet. Und ich wartete auch so gespannt auf meinen ganz besonderen Menschen- vielleicht würde er mich ja zur Sonne bringen. Eines Tages öffnete sich die Stalltüre und ein fremder Mann betrat das Gebäude. Oh- ich war aufgeregt! Vielleicht ist er schon da! Der Mann kam tatsächlich auf mich und meine Geschwister zu und- du wirst es kaum glauben- er hat mich hochgehoben. Ich strahlte ihn aus meinen kleinen, sanften Augen an, ja ich lächelte (wir Schweine lieben es zu lachen und können so wie du Freude empfinden) und war voller Erwartung. Dann hat mir dieser Mensch ohne Vorwarnung mein Schwänzchen abgeschnitten.

Aua. Das tat so weh und ich habe die Welt nicht mehr verstanden? Warum schneidet er uns das Schwänzchen ab? Und das ohne eine Kraut gegen die Schmerzen? Ich wurde etwas unsicher was die Menschen betrifft, aber blieb in meinem Herzen weiterhin optimistisch und voll Vertrauen. Wir sind Brüder und Schwestern, hat meine Mutterseele und erzählt und daran habe ich weiterhin festgehalten.

 

Ich habe die Sonne dann doch eines Tages gesehen. Nach meinem kurzen Leben in diesem Stall mit meinen Geschwistern- unsere Mama haben sie schon lange vorher weggebracht- sah ich aus den vergitterten fenstern des Transporters, in denen sie uns eines Tages getrieben haben, tatsächlich diese schöne Sonne. Und es hat mich sehr glücklich gemacht. Sie ist nämlich wirklich wunderschön. Ihren Anblick habe ich mir vor Augen gehalten, als wir stundenlang ohne Wasser unterwegs waren, sie habe ich gesehen, als eines meiner Geschwister neben mir vor Erschöpfung gestorben ist, sie hat für mich geleuchtet, als man uns mit lauten Stimmen von diesem wagen getrieben haben und sie hat mich erwärmt, als ich den gang hinaufgestolpert bin, in dem es so sehr nach angst und Tod gerochen hat. Und sie leuchtete noch immer für mich, als der Schlag kam.

 

Für dich bin ich vielleicht nur ein Schwein. Für mich war ich alles und dieses leben alles. Ich habe Benjamin geheißen, hatte eine Mama und 7 Geschwister- und einen Wunsch: Den Menschen zu treffen, der gut auf mich achtet und mich gut versorgt, damit ich ihm seinerseits – wenn die zeit für mich gekommen ist- ihm mein Leben schenken kann. Ich würde wieder auf diese schöne Erde kommen, denn ich glaube daran, dass Menschen und Tiere eines Tages gemeinsam in Harmonie leben werden.

(Bildquelle: Carsten Rehder/Archiv)